Wunsch nach Alternativmedizin kann gefährlich enden
Seit Jahren wächst in der Bevölkerung der Wunsch nach Komplementärmedizin, weil sie – oft zu Unrecht – mit „natürlichen, sanften und schonenden“ Verfahren wirbt.
Auch vor der Zahnmedizin macht dieser Trend nicht halt.
Allerdings sind die Gefahren von komplementärmedizinischen Methoden in der Bevölkerung kaum bekannt. Tatsächlich werden unter dem Vorwand, nicht näher definierbare „Belastungen“ ausräumen zu wollen, zuweilen große irreversible Gebiss-Schäden angerichtet.
Viele komplementärmedizinische Verfahren sind wissenschaftlich betrachtet bedenklich. Ein Beispiel dafür ist die Applied Kinesiology, die in komplementärmedizinischen Kreisen unter anderem zu einer fragwürdigen Verträglichkeitstestung von Dentalmaterialien eingesetzt wird. „Es gibt bislang weltweit keine einzige in einem anerkannten Journal publizierte Studie, die einen Wert der Applied Kinesiology für solche Zwecke hätte belegen können“, erläutert der Heidelberger Universitätsprofessor Hans Jörg Staehle.
Warnung vor Verstümmelungen
Erfolgt eine Behandlung auf der Basis einer wissenschaftlich fragwürdigen Testung aus dem Bereich der Komplementärmedizin, kommt es immer wieder zu invasiven, zahnmedizinisch nicht gerechtfertigten Eingriffen. Dabei werden beispielsweise intakte zahnärztliche Restaurationen entfernt, erhaltungswürdige Zähne gezogen oder gar Kieferknochen ausgefräst. Manche Patienten sind dadurch zu regelrechten Gebisskrüppeln verunstaltet worden, ohne dass sich ihre Ausgangsprobleme verbessert hätten.
Ein derartiges Vorgehen – unzulässigerweise geschmückt mit Begriffen wie „Biologische Medizin“ oder „Ganzheitsmedizin“ – kann zu einer starken Beeinträchtigung des Patienten führen und ist somit keinesfalls so sanft, wie in der Werbung in der Regel dargestellt. „Es ist dringend notwendig, dass die Bevölkerung besser über die Gefahren einiger komplementärmedizinischer Denkvorstellungen aufgeklärt wird“, fordert Professor Staehle, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ).
Echte „Ganzheitsmedizin“ oder „Pseudo-Ganzheitsmedizin“
Eine echte „Ganzheitsmedizin“ untersucht auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes die Zusammenhänge zwischen körperlichen und psychosozialen Einflüssen (Bio-Psycho-Soziales Modell). Dabei werden die engen Verflechtungen zwischen der Zahnmedizin und der Allgemeinmedizin immer deutlicher. So gibt es inzwischen viele Erkenntnisse über Wechselwirkungen, beispielsweise zwischen Zahnfleischerkrank-ungen und Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus. Auch psychische Belastungssituationen mit Auswirkungen etwa auf die Kiefergelenksfunktion rücken mehr und mehr in den Fokus wissenschaftlicher Erörterungen. Es ist notwendig, dass in der öffentlichen Wahrnehmung besser zwischen echter, wissenschaftlich fundierter „Ganzheitsmedizin“ und wissenschaftlich fragwürdiger, „Pseudo-Ganzheitsmedizin“ unterschieden wird. Letztere entpuppt sich bei näherem Betrachten nicht selten als reine Scharlatanerie.
Textquelle: Initiative proDente