Zeugen im Kampf gegen häusliche Gewalt

Nur ein blauer Fleck…

Jede vierte Frau wird in ihrem Leben ein- oder mehrmals Opfer von Gewalt. Die Täter stammen überwiegend aus dem familiären Umfeld. Meist ist es der eigene Ehemann oder Lebensgefährte, der Frau und Kinder schubst, schlägt, tritt und würgt und ihnen leichte bis schwere Verletzungen zufügt. Untersuchungen zeigen, dass rund 90 Prozent der betroffenen Frauen Verletzungen an Kopf, Kiefer, Nacken und Gesicht erleiden. Suchen sie ärztliche Hilfe, ist oftmals der Zahnarzt eine Adresse. 

In den vergangenen Jahren haben mehrere zahnärztliche Organisationen einen Dokumentationsbogen entwickelt, welcher die Verletzungen künftig detailliert dokumentiert. Natürlich sind Zahnärzte bei der Dokumentation von Verletzungen auch aufgefordert, auf Opfer von häuslicher Gewalt zu achten. „Der gut ausgefüllte Dokumentationsbogen ist von hoher Bedeutung für die betroffenen Patienten“, erklärt Prof. Dr. Oesterreich von der Initiative proDente. Entscheidet sich das Opfer, den Täter anzuzeigen, wird die Dokumentation in der Gerichtsverhandlung herangezogen, um nachzuweisen, was geschehen ist. „Die Dokumentation hilft den Betroffenen, ihre Rechtsansprüche durchzusetzen und die erfahrene Gewalt zu beweisen“, weiß Prof. Oesterreich.

Schlüsselrolle des Zahnarztes

Damit kommt Zahnärzten eine Schlüsselrolle bei der Behandlung und Aufklärung von häuslichen Gewaltopfern zu. Viele betroffene Frauen wenden sich aus Hilflosigkeit und Scham nicht an zuständige Stellen und Hilfsorganisationen. Meist wissen nicht einmal die engsten Freunde und Familienangehörige von ihrer Not. Die Opfer sehen sich aus emotionaler und teilweise auch finanzieller Abhängigkeit heraus nicht in der Lage, den Täter anzuzeigen. Auch Angst vor einer neuen Gewaltorgie oder Repressalien spielt eine große Rolle. Zahnärzte haben demnach eine besondere Verantwortung, wenn sie den Verdacht haben, dass ihre Patientin Opfer von Gewalt geworden ist. Grundsätzlich stehen sie unter ärztlicher Schweigepflicht. Sprich, die Sorgen der Patientin sind sicher bei ihnen aufgehoben. Gelingt es ihnen, die Patientin behutsam zum Sprechen zu bringen und sie von der Wichtigkeit der genauen Dokumentation der Verletzung zu überzeugen, haben sie schon einen wichtigen ersten Schritt bei der möglichen Aufarbeitung der Tat geleistet. Oftmals sind die Betroffenen erleichtert, dass sie sich jemanden anvertrauen können.

Verletzungen geben Hinweise

Hämatome und Frakturen am Kiefer, eingeschlagene Zähne, Platzwunden – all das sind Indizien für den Zahnarzt, dass Gewalt zu den Verletzungen geführt hat. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Verletzungen ganz frisch sind oder schon eine Weile zurück liegen. „Ein Alarmzeichen ist es, wenn neben den aktuellen Verletzungen auch Spuren von früheren Gewalteinwirkungen zu erkennen sind“, erklärt Prof. Oesterreich. Dies ist nicht selten der Fall. Oft werden die betroffenen Frauen von ihren aggressiven Partnern wiederholt geschlagen und misshandelt.Hellhörig werden Zahnärzte auch, wenn die sichtbaren Verletzungen mit der Erklärung, wie sie angeblich entstanden sind, nicht übereinstimmen. Auffällig sind zudem Partner, die der Frau nicht von der Seite weichen und übermäßig kontrollieren. „Beachtet der Zahnarzt diese Faktoren, wird er die Ursache der Verletzungen meist richtig einschätzen“, meint Prof. Oesterreich.

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“

Neben der Behandlung der Verletzungen und der genauen Dokumentation weisen Zahnärzte die betroffenen Frauen auch oftmals auf das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ hin. Unter der Telefonnummer 08000-116016 können sich Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, anonym und kompetent beraten lassen. Die Hotline hat an 365 Tagen rund um die Uhr geöffnet und wird vom Bundesamt für Familie und Bundesministerium für Familie angeboten.

Textquelle: Initiative proDente