Vor etwa drei Millionen Jahren verließen Frauen häufiger als ihre männlichen Artgenossen ihre Geburtsgruppe und schlossen sich einer neuen sozialen Gruppe an.
Bisher haben Wissenschaftler indirekt auf den Lebensbereich früher Vormenschen (Homininen) geschlossen: Der Körperbau, der Herkunftsort des Rohmaterials ihrer Steinwerkzeuge oder beispielsweise der Vergleich mit lebenden Primaten half ihnen dabei weiter. Sandi Copeland, Vaughan Grimes und Michael Richards vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entwickelten nun eine neue Methode. Sie analysierten die Strontiumisotope im Zahnschmelz von A. africanus und P. robustus und konnten dadurch genaue Aussagen treffen, wie groß der Lebensradius dieser menschlichen Vorfahren war. (Nature, 2. Juni 2011)
Dazu untersuchten die Wissenschaftler jeweils mehrere 2,8 bis 2,0 Millionen Jahre alte Zähne von A. africanus und 1,9 bis 1,4 Millionen Jahre alte Zähne von P. robustus, die aus Höhlen bei Sterkfontein und Swartkrans in Südafrika stammten. Dabei fanden die Forscher heraus, dass die kleinen Zähne der Frauen nicht-regionale Strontiumsignaturen aufwiesen. Auf die großen Zähne der männlichen Individuen traf dies nicht zu. Demnach haben sich hauptsächlich unsere weiblichen Vorfahren von ihrer Geburtsgruppe entfernt.
Bestehende paläontologische und archäologische Methoden liefern bislang wenige konkrete Beweise, wie Vormenschen die Landschaften, in denen sie lebten, nutzten und wie sie sich innerhalb und zwischen diesen Gebieten bewegten. Den Aktionsradius eines Individuums schätzten Forscher beispielsweise anhand des Körpergewichts. Verbreitungsmodelle früher Homininen stützten sich auf Verhaltensweisen, die bei Menschenaffen häufig vorkamen und möglicherweise auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgingen. „Jedoch schränkt diese Art der Rekonstruktion, die mit einem hohen Grad an Unsicherheit verbunden ist, unser Verständnis der Ökologie, Biologie, Sozialstruktur und die Entstehung der Homininen stark ein”, sagt Sandi Copeland vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Um zu erforschen wie groß der Lebensbereich der Vormenschen war, untersuchten Sandi Copeland und Kollegen nun die Zusammensetzung von Strontiumisotopen im Zahnschmelz dieser Homininen. Strontium wird als Spurenelement mit der Nahrung und dem Trinkwasser aufgenommen und in den Zähnen gespeichert. Zuerst untersuchten die Wissenschaftler deshalb Strontiumisotope in Pflanzen, die innerhalb eines 50-Kilometer-Radius der Sterkfontein und Swartkrans Höhlen in Südafrika gesammelt wurden, um Hintergrundinformationen zu dem biologisch verfügbaren (im Grundwasser gelösten) Strontium der ganzen Region zusammenzutragen. Anschließend analysierten die Forscher mehrere hominine Zahnkronen mithilfe einer relativ neuen Methode zur Messung von Strontiumisotopen aus Zähnen, der Laser Ablation Multicollector Inductively Coupled Plasma Mass Spectrometry, einer technisch hochentwickelten Art der Isotopenmassenspektrometrie mit vorgeschaltetem Laser zur Beprobung. Diese Methode, bei der kleinste Mengen an biologischem Material mit einem Laser abgetragen werden, zerstört die Zähne nicht und hinterlässt nur winzige (kaum sichtbare) Spuren auf der Zahnschmelzoberfläche. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass es zwar keinen bedeutenden Unterschied zwischen dem Anteil nicht lokaler Individuen in den Arten A. africanus (25 Prozent) und P. robustus (36 Prozent) gibt, konnten aber hingegen bedeutende Unterschiede zwischen den Verbreitungsmustern weiblicher und männlicher Individuen feststellen.
„Die Strontiumisotopendaten weisen Unterschiede bezüglich des Herkunftsgebietes bei Männern und Frauen auf”, sagt Sandi Copeland und erklärt: „Da Strontium vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter in den Zähnen eingebaut wird, zu einem Zeitpunkt, als die Vormenschen vermutlich noch mit ihren Müttern reisten, ist es unwahrscheinlich, dass die Daten Unterschiede im Aktionsradius von erwachsenen Männern und Frauen reflektieren. Eher zeigen die Strontiumsignaturen an, dass Frauen die Gruppe verließen, in der sie geboren wurden“.
Die Verbreitungsmuster weiblicher (nicht jedoch männlicher) A. africanus und P. robustus sind dem ähnlich, die man bei Schimpansen, Bonobos und vielen Menschengruppen findet, unterscheiden sich aber von dem der meisten Gorillas und anderer Primaten. Dies impliziert, dass die Sozialstruktur früher Hominine wahrscheinlich nicht der von Gorillas ähnelte, bei denen ein oder wenige Männchen eine Gruppe von Weibchen dominieren.
Der geringe Anteil nicht lokaler männlicher Hominine könnte bedeuten, dass männliche Australopithecinen einen relativ kleinen Aktionsradius hatten. Das wäre jedoch verwunderlich. Denn Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Fortbewegung auf zwei Beinen (Bipedie) aus der Notwendigkeit entstanden sein könnte, große Entfernungen zu Fuß zu überwinden. Die Ergebnisse könnten aber auch bedeuten, dass Australopithecinen die Rohstoffquellen bevorzugten, die ihnen die lokale Landschaft bot, in der sie lebten.
Die Studie von Copeland und Kollegen wendete die beschriebene neue Methode der Laserablations-Massenspektrometrie erstmals auf fossile Vormenschen an und legt damit die Grundlage für zukünftige Studien an anderen Arten, wie z.B. Australopithecus und Paranthropus Funden aus Ostafrika und jüngeren Homininen, die unserer eigenen Gattung Homo angehören.
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An der Studie waren folgende Institutionen beteiligt: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig, Deutschland; University of Colorado, Boulder, USA; Texas A&M University, College Station, USA; Oxford University, Oxford, UK; University of Cape Town, Kapstadt, Südafrika; Universität Zürich, Zürich, Schweiz; Memorial University, St. John’s, Kanada; University of British Columbia, Vancouver, Kanada.
Textquelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Bildquelle: Darryl de Ruiter